Impuls 2023-07 Der Feind in mir

Edith Wagner

"Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet."
(Matthäus 5, 44-45)

"Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen, betet für die, die euch verfolgen...." Das sind doch Forderungen, die der menschlichen Natur total entgegenstehen!

Übersetzungsfehler oder die Weigerung der Theologie, psychologisches Wissen in die Verkündigung einzubeziehen haben die Lehre Jesu nicht zur christlichen Weiterentwicklung, sondern zur Weiterentfernung gebracht, sodass die Aufforderung zur Feindesliebe entweder zu Masochismus oder Ignoranz geführt haben.

Im Grunde geht es darum, den "Feind in mir" zu erkennen und anzunehmen (C.G. Jung):

Alle Fehler, Unzulänglichkeiten, verachtenswerte Verhaltensweisen wie Neid, Zorn, Hass, etc. einzusehen, um Wiedergutmachung bemüht zu sein und mich trotz der Veranlagung zu diesen Unvollkommenheiten als ein von Gott geliebtes Kind zu wissen.

Das befreit mich zur Fähigkeit, zuerst den "Balken in meinem Auge" zu sehen, bevor ich den Anderen für seinen "Splitter" verachte und verurteile.

Ich muss also bei mir beginnen und von innen her abtragen, was es an Hass und Feindschaft mir selbst gegenüber gibt.

Projiziere ich diese Vorwürfe nicht mehr auf den "Feind", so kann ich ihn in einem neuen Licht sehen: Als jemanden, der ursprünglich wie jedes Neugeborene unschuldig, unverfälscht und liebenswürdig war, aber durch notwendige Anpassungen an elterliche, erzieherische Forderungen fremdbestimmt wurde und  Kompensationen entwickelt hat, die ihn zwangen, sich über andere zu erheben, sie zu übervorteilen oder ihnen sonst zu schaden.

Der Grundsatz jeder Erziehung: "Nicht du bist schlecht, sondern das, was du getan hast, ist böse", ermutigt zur Selbstreflexion und Einsicht, weil es sich nicht selbst angegriffen sieht, sondern sein Tun. Folglich wird das Kind motiviert, aus den Fehlern zu lernen, bzw. sie wiedergutzumachen. So wird anstelle von Selbstverachtung die Basis zu Gesprächsbereitschaft, zu gegenseitiger Verständigung, zum Ausgleich oder sogar zur Freundschaft geschaffen.

Die erfahrene und begriffene Liebe Gottes zu allen und allem gilt den Feinden und mir - mit meinen Ängsten, meinen sturen, harten und bösen Seiten, meinen Unzulänglichkeiten und Verweigerungen. Mit all dem, was an mir und mit mir schwierig ist, umgibt mich diese Liebe und befähigt mich zu innerer Freiheit, Selbstakzeptanz - nicht zuletzt auch zur Nächsten-und Feindesliebe.

Jesus hat diese Feindesliebe bis zur letzten Konsequenz vorgelebt: "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"

Eine friedvolle Zukunft wird aber davon abhängen, ob Menschen lernen, zu wissen, was sie tun!