Jahreslosung 2021/2
Charlotte Hagmüller
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ Lk.6/36
- Was fällt uns ein zu „barmherzig“?
Vielleicht „warmherzig“, „gütig“, „liebevoll“, „wohltuend“? Vielleicht aber fallen uns auch Situationen ein, in denen wir selber Barmherzigkeit erlebt haben durch andere Menschen, oder eben auch nicht. Oder es fallen uns Momente ein, wo ein anderer Mensch uns sagte, er habe bei uns, durch uns Barmherzigkeit erfahren. Vielleicht fällt uns auch ein und auf, dass wir eigentlich immer wieder auf der Suche nach barmherzigen Menschen sind, wie oft wir überrascht wurden von unerwarteter Barmherzigkeit, wie oft wir enttäuscht wurden und sie nicht fanden, wie oft wir enttäuschten und selber unbarmherzig waren.
Vielleicht fällt uns auch Matthäus 25 ein, wo Jesus von den sogenannten Werken der Barmherzigkeit spricht und uns scheinbar eine sehr hohe Latte legt. Jesu barmherziges Handeln fällt uns vielleicht ein, das uns manchmal zu Tränen rührt. Ja, es ist ein Augen öffnendes Wort dieses „barmherzig“. - Etwas, das mir NICHT eingefallen ist, ist das Wort „Gebärmutter“. Euch sehr wahrscheinlich auch nicht. Wie auch! Aber – das ist genau die entsprechende Übersetzung des hebräischen Wortes für Barmherzigkeit - Rachamim. Es wird eben auch mit mitfühlender, liebender Barmherzigkeit übersetzt. Gebärmutter also! Der Ort unserer Entstehung, unserer menschlichen Entwicklung, unseres Werdens. Dieser Raum steht für Geborgenheit, für Schutz und Sicherheit, für Angenommen-Sein und Geliebt- und Erwartet-Sein. Dieser Raum ist der Inbegriff für all das, was wir in das Wort „Barmherzigkeit“ legen. Ein Raum der Liebe schlechthin, der Zeit für Entfaltung, der Möglichkeit, das eigene Wesen, den eigenen Charakter zu bilden und zu formen. Gebärmutter ist der Raum, der die Möglichkeit gibt, Freude am Sein, am Leben, an sich selber zu entdecken und Vertrauen zu entwickeln zu dem Menschen, in dem man heranwächst. All das suchen wir, wenn wir Barmherzigkeit suchen. Darum tut es auch so unendlich weh, enttäuscht zu werden, nicht fündig zu werden. Wie viele, vielleicht auch einige von uns, haben diesen Schutzraum nie erlebt. Sie waren nicht willkommen, nicht erwünscht, nicht gewollt. Einige sollten vertrieben, abgetrieben werden, haben es doch irgendwie überlebt und suchen bis heute diesen Raum der Barmherzigkeit.
- Euer Vater ist barmherzig!
Der himmlische Vater, so sagt Jesus, IST die ewige Mutter, der ersehnte Raum der Liebe und der Güte, der Annahme und Geborgenheit. Er IST die alles umfassende, alles umschließende und alle umhüllende und umfangende „Gebärmutter“ Barmherzigkeit. Bei ihm kommt unsere Sehnsucht ans Ziel. Bei ihm darf der Schmerz der Ablehnung, der Verweigerung, der Enttäuschung zur Ruhe kommen. Bei ihm dürfen wir uns füllen lassen. Bei ihm sind wir daheim. „.. und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ - So seid auch ihr barmherzig!
Wer begriffen hat, dass Gottes Barmherzigkeit ALLE einschließt, versteht auch, dass ALLE Barmherzigkeit brauchen. Wer sich selber die Barmherzigkeit Gottes angedeihen lässt und wer Barmherzigkeit durch Menschen erfahren hat, wird auch nach dem eigenen menschlichen und damit begrenztem Maß barmherzig empfinden und handeln. Nicht, weil er muss, sondern weil er kann, weil Barmherzigkeit Barmherzigkeit gebiert!
So wünsche ich uns allen ein Jahr, in dem wir Barmherzigkeit empfangen, erleben und weitergeben! Amen