Jahreslosung 2023 Du bist ein Gott, der mich sieht.
Karl Zahradnik
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Jahreslosung für 2023, „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (Gen. 16/13) steht in der Geschichte von Hagar und Ismael (Gen. 16/1-15).
Sarai, Abram, Hagar. Das ist eine komplizierte Dreiecksgeschichte.
Da ist Abram. Er stammt aus Ur in Mesopotamien. Auf Gottes Zusage wagt er den Aufbruch. „Gehe aus Deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.“ (Gen. 12/1-2). Und Gott verheißt Abram so viele Kinder, wie es Sterne am Himmel gibt (Gen. 15/5).
Da ist Sarai. „Aber Sarai war unfruchtbar und hatte kein Kind“ (Gen. 11/30). Ein Makel in der damaligen Zeit. Dabei geht es nicht nur um einen unerfüllten Lebenswunsch. Es geht um ihre Existenz, ihren Lebenssinn. Ohne Kind ist sie – ist ihr Leben – nicht vollständig. Sarai beschließt Gottes Versprechen auf die Sprünge zu helfen. Sie schickt Abram zu ihrer ägyptischen Magd Hagar, damit diese ein Kind für Abram bekommen soll. Sie sollte dann auf Sarais Schoß gebären, dadurch wurde Sarai nach dem damaligen Verständnis zur rechtmäßigen Mutter des Kindes.
Da ist Hagar. Sarais ägyptische Leibmagd, eine Fremde, eine Außenseiterin. Als Leibmagd untersteht sie nur ihrer Herrin und nicht Abram, wie die anderen Sklaven und Diener. Ihre Herrin Sarai kann über sie gebieten. Sie soll für Sarai und Abram herhalten, in dem sie den beiden ein Kind gebärt. Sie wird nicht gefragt, ob sie dieses Kind bekommen möchte. Sie darf nicht selbst über ihren Körper, ihre Sexualität und ihre Zukunft entscheiden. Sie ist das Objekt, dass Sarai und Abram zu ihrem Lebensziel bringen soll.
Hagar wird also schwanger. Daraufhin „achtete sie ihre Herrin gering“ (Gen. 16/4). „Ich bin nun die Zweitfrau Abrams. Ich werde ihm ein Kind gebären, nicht du“. So verständlich Hagars Reaktion ist, so klar ist, dass Sarai das nicht auf sich sitzen lässt. Sarai fordert Abram als Patriarch der Familie zu einem offiziellen Richtspruch auf. Das ist schließlich seine Aufgabe. Aber Abram steht nicht zu Hagar und unterstellt sie wieder Sarais Gewalt. Wieder wurde sie verraten, diesmal von Abram. Und Sarai lässt Hagar ihre Macht noch stärker spüren, bis Hagar wegläuft.
Hagar ist auf der Flucht. Diese Flucht ist Befreiung, Aufbruch und Selbstaufgabe in einem. Sie hat entschieden: So will ich nicht weiterleben. Sie weiß um die Gefahren ihrer Flucht. Sie läuft in die Wüste, an einen Ort, der keine Versorgung und keinen Schutz bietet. Als entflohene schwangere Sklavin wird sie keinen Mann finden, der sie versorgt und allein wird sie kaum für ihr Kind sorgen können.
In der Wüste trifft sie auf einen Brunnen und einen Mann, der sie freundlich anspricht:
„Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her, und wo willst du hin?“ (Gen. 16/8). Auf die erste Frage weiß sie eine Antwort: „Ich bin vor Sarai, meiner Herrin, geflohen“ (Gen. 16/8). Auf die zweite Frage weiß sie keine Antwort. Wo soll sie als entflohene Sklavin schon hin? Und der Mann, der Engel des Herrn, fordert sie auf wieder zurückzukehren zu ihrer Herrin Sarai. Eine unmögliche Forderung. Zurück zu der Frau, die sie so gedemütigt hat. Aber der Mann spricht weiter. Er verheißt ihr eine große Nachkommenschaft (Gen. 25/12-18), einen Sohn und gibt ihm einen Namen: Ismael = Gott hat gehört. Und er verspricht ihr: Gott hat dein Elend erhört.
Und Hagar gibt Gott, trotz der bitteren Aufforderung zurückzukehren, einen Namen: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (Gen. 16/13). Die Begegnung mit dem lebendigen Gott ändert alles. Die Tatsache, dass Gott ihr Leiden erkennt und anerkennt, verändert alles für Hagar. Sie erkannte ihren Wert ihre Identität. Das machte sie immun gegenüber menschlicher Unterdrückung und schenkte ihr eine innere Freiheit, die ihr niemand mehr nehmen kann.
Auslegung der Jahreslosung:
Du, einfach Du!
Gott ist ein Gott, den ich duzen darf. Ein Gott wie ein Freund, wie ein Familienmitglied. Für den Herrscher über Universen, Galaxien und Sterne reicht ein „Du“. Wir erleben viel zu oft, dass das „Ich“ in dieser Welt mehr zählt als das „Du“. Da ist es wohltuend zu wissen, dass Gott sich ganz und gar auf das Du einlässt und keine großen Titel und Anreden braucht. In diesem Du spürt man auch das Gottesbild von Jesus. Jesus spricht von Gott in sehr familiären und zärtlichen Tönen von seinem Abba, was so viel wie Papa bedeutet. Das ist ein wunderbares Gottesbild.
Du bist ein Gott!
Am tiefsten Punkt ihres Lebens erfährt Hagar etwas, das ihr Leben verändert. In ihrem Suchen und Fragen findet sie einen persönlichen Gott. Es gibt so viele Menschen, die gerade das aus ihrem Leben berichten können. Dass sie in ihren schwierigsten Situationen von Gott Hilfe und Kraft bekommen haben. Gerade mitten in der Krise, da ist auch Gott. Gott ist ein Gott, der da ist. Das erfährt Hagar und bekennt: Du bist Gott! Das erfährt Mose am brennenden Dornbusch, wo Gott ihm sagt: „Ich werde sein, der ich sein werde“ (Ex. 3/14). Das erfährt Petrus als er in Jesus den von Gott geschickten Retter erkennt und er bekennt aus vollem Herzen: „Du bist der Christus!“ (Mk. 8/29). Und so wie für Petrus Jesus jetzt nicht mehr nur irgendein Lehrer ist, sondern der Messias, so ist für Hager Gott nicht mehr nur irgendein Gott, sondern ein Gott, der sieht.
Du bist ein Gott, der mich sieht!
Niemand hat Gott jemals gesehen – aber er ist einer, der mich sieht. Vielleicht ist das die tiefste Erkenntnis aus dem Bekenntnis von Hagar. Wenn Gott auf unser Leben hinschaut, dann versteht er es auch. Wenn Gott sieht, wie du und ich sind und an was wir zu leiden haben und was uns hilft, dann sind wir wirklich geborgen. Dann schaut Gott nicht weg, sondern er sieht uns mit ganzem Herzen an und fühlt mit. Dann ist das in Christus auch vollständig wahr geworden, was Hagar erfahren hat. Dass Gott ganz und gar bei den Menschen ist und sie von allem erlöst. Wenn Gott uns Menschen sieht, ist es so, als ob ein neues Licht in unser Leben fällt. Gerade diesen sehenden Gott brauchen wir. Weil er mit milden Augen uns stärkend und in Christus erlösend und helfend sieht, gerade deshalb brauchen wir diesen Gott in unserem Leben.